Kennen Sie Anna Wecker (Basel/ Franken), Sophie Juliane Weiler (Augsburg), Betty Gleim (Bremen), Wilhelmine Scheibler (Brandenburg), Anna Bergner (Pfalz), Marie Elsasser (pfälzisch- süddeutsch- jüdisch), Henriette Davidis (NRW), Hedwig Kost (Thüringen)? Wahrscheinlich so wenig wie ich bis jetzt. Das lässt sich ändern!
Doch zuerst: Ich liebe meine Kochbuchsammlung: als allgemeine Inspiration für meine nächsten Gerichte, als Erinnerung an Gespräche, Schenkende, Freund*innen, Lebensstationen, Koch‑Strategieänderungen… Wer waren wohl die ersten Kochbuch-Autorinnen?
Wenig überraschend: die meisten Rezeptsammlungen/ Kochbücher sind von Männern geschrieben. Oft waren sie REZEPTE, also Anweisungen von Ärzten für Krankenkost. Und: Bis in den Anfang des letzten Jahrhunderts hinein waren Kochbücher vor allem auch für (meist männliche) berufstätige Köch*innen, Koch-Lehrlinge – ob in Hotels oder bei „Herrschaften“ – geschrieben.
Bei den Rezepten waren vor allem die Zusammensetzung und Kochanleitungen wichtig, Mengenangaben selten – wie auch, bei diesem regionalen Maße-Wirrwarr!
Die ersten deutschsprachigen Rezepte als Sammlung finden sich in einem Würzburger Werk um 1350, als Teil des „Hausbuch des Michael de Leone“. Ihre eigentliche Entstehungszeit und ihre „adlige Herkunft“ kann man auf Grund der verwendeten Gewürze schätzen.
„Dieses Buch erzählt von guter Speise, dazu macht es die unwissenden Köche weise. Ich will denjenigen von Euch unterweisen in der Speisezubereitung, der sie noch nicht kann. …“ (1350)
Letztlich ist das auch meistens die Motivation der Autorinnen bis Mitte des 20. J.h., die mit ihren Kochbüchern vor allem Frauen der bürgerlichen Schicht nötiges Haushaltswissen beibringen wollten: was und wie koche ich, die gut gedeckte Tafel, sparsames Wirtschaften, Hygiene, usw. Dazu passende sog. „Puppen-Kochbücher“ für Mädchen (mit alltagstauglichen Rezepten in Mini-Mengen).
* 13.02.1890 in Berlin, geb. Erna Konstanze Fanny Karoline Pollack † März 1975 in Haifa, Israel
deutsche, später israelische Volkswirtschaftlerin und Publizistin
Der Titel ihrer Dissertation in Volkswirtschaftslehre 1913 gibt den Weg ihres lebenslangen Engagements vor: „Der Haushalt eines höheren Beamten in den Jahren 1880–1906, untersucht an Hand von Wirtschaftsrechnungen“. Sie gilt als Start der Ratgeber-literatur über wirtschaftliche Haushalts- und Lebensführung.
E. Meyer wird eine der wichtigsten „Haushaltsexpertinnen“ der Weimarer Republik.
Sie schrieb das Buch „Der neue Haushalt“, das bis 1932 in 40 Auflagen erscheint.
Durch ihr Engagement für eine rationelle Haushaltsführung wird sie 1927 mit der Leitung der Küchenausstellung der Stuttgarter Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“ beauftragt. Dafür entwirft sie mit HILDE ZIMMERMANN vier „Stuttgarter Küchen“. Wie sie in einem Artikel über „Das Küchenproblem auf der Werkbundausstellung“ schreibt „konnte [bei] den Nöten unserer Zeit kein anderer Gedanke im Mittelpunkt stehen als: Kraft- und Zeitersparnis“.
Weiter entwickelte sie 1928 die Münchner Küche mit HANNA LÖV und Walther Schmidt.
1929 gründete sie gemeinsam mit ihrem Mann Arnold (Dipl. Ing.) die Fachzeitschrift „Neue Hauswirtschaft“.
Sie verfasste ein Haushaltungsbuch und weitere Ratgeberliteratur.
Die Nationalsozialisten verbieten ihr 1933 aus ideologischen Gründen die Weiterarbeit an ihrer Zeitschrift.
Sie emigrierte noch 1933 nach Tel Aviv.
In Israel verdiente sie ihren Lebensunterhalt weiter mit der Veröffentlichung von Ratgeberliteratur, z.B. „Küchenzettel in Krisenzeiten“, als Hauswirtschaftsleiterin eines Kinderdorfs und als Lehrerin an einer Berufsschule in Jerusalem.
1936 veröffentlicht sie das Kochbuch „Wie kocht man in Erez Israel?“ (in Hebräisch, Deutsch und Englisch). Sie empfiehlt darin, aus der Heimat gewohnte Rezepte in Israel an die regionalen Lebensmittel und Gewürze anzupassen. Das Kochbuch erlebt mehrere Auflagen.
Haushaltskartei „Gedächtnishilfe der Hausfrau“ von Erna Meyer, um 1930 (link)
Erna Meyer, «Das Küchenproblem auf der Werkbundausstellung», in: Die Form, Jg. 2, H. 10, 1927, S. 299–307; 304ff. [beim download ganze Seiten: (S.24) (S. 58) (S. 213) (S. 299-307ff., scroll)
Hinweis auf die Zeitschrift „Neue Hauswirtschaft“; Kattowitzer Zeitung, 1932, Jg. 64, Nr. 37, S. 8 (link)
L‘ homme :
Abstraktion durch Anschaulichkeit : Wirtschaftliche Haushalts- und Lebensführung in der Zwischenkriegszeit, Wimmer, Mario 2011 (link)
* 19. Januar 1901 in München † 1995 in München Münchner
Architektin, Entwicklerin der „Münchner Küche“
Karikierende „Beschwerde“ eines Bewohners der Versuchssiedlung:
„STIMMEN AUS DEM KREIS DER VERSUCHSMIETER
Warum sind die Spülbecken in der Küche so klein gehalten, daß man Kinder darin nicht ordentlich baden kann? Außerdem sind sie dazu zu hoch angebracht.
Warum haben die Siebe in den Abgüssen so große Löcher? Hineingelegte Makkaroni rutschen regelmäßig durch.
Warum sind die Eisenroste über den Badewannen so scharfkantig? Kein Mensch kann es lange darauf aushalten.
Warum wurde mir in die Küche ein teurer Glasverschlag gestellt? So muß ich nun einen teuren Plüschvorhang hineinhängen und zur Raumaufteilung hätte das Klavier doch auch genügt.
Warum wurde die Versuchssiedlung nicht überhaupt altmodischer gebaut? Wir hätten uns viel wohler darin gefühlt. (Koboldt)“
Kontrastreicher hätte das Leben der beiden zeitgleich lebenden Architektinnen nicht verlaufen können:
Das der Kommunistin MARGARETE SCHÜTTE-LIHOTZKI (1897 – 2000), verheiratet, mit einer politischen Agenda, politisch verfolgt und diskriminiert, freiberuflich und weltweit arbeitend. Heute geehrt und erinnert.
Und das der HANNA LÖV (1901 – 1995), unverheiratet, politische Einstellung unbekannt, diskriminiert als Frau, Beamtin, lebenslang in München lebend.
Heute ist H. Löv so gut wie vergessen – u.a. weil die Männer, mit denen sie arbeitete (arbeiten musste), bis heute mehr Aufmerksamkeit bekommen und in Schriften vorrangig erwähnt werden. Dazu stand/steht sie als „Nachfolgerin“ im Schatten der öffentliche Polarisierung verursachenden Schütte-Lihotzky.
Dabei ist die von ihr entwickelte „Münchner Küche“ mindestens genauso wichtig wie die „Frankfurter Küche“ als Vorläufer der familien-, evtl. genderfreundlicheren „offenen Küche“.
1928 entwickelte sie diese mit ERNA MEYER (1890 – 1975) – eine bekannte Publizistin, auch engagiert in Küchen-Entwicklung – und mit Walther Schmidt vom Baureferat für die Versuchssiedlung des Bayerischen Post- und Telegraphenverbandes.
Diese Küche sollte die Vorteile der „Frankfurter Küche“ (die aber als „Isolation“ kritisiert wurde) mit denen der „unmodern und unhygienisch“ eingestuften Wohnküche vereinen.
So setzten sie zwischen der etwas abgewandelten Frankfurter Küche und dem Wohnzimmer eine teilverglaste Wand. So konnte die Mutter auch bei ihrer Küchenarbeit ihre Kinder beaufsichtigen und „am Familienleben teilnehmen“.
Mieter, die in eine solche „Muster-Wohnung“ einziehen wollten, mussten zustimmen, dass E. Meyer und ihr Chef R. Vorhoelzer jederzeit (unangemeldet!) die Wohnung betreten und Interessenten zeigen konnten.
„So nebenbei“ galten diese unangemeldeten Besuche auch dem moralischen Anspruch, dadurch die Familien zu pfleglichem Umgang mit den Möbeln und zu allgemeiner Hygiene anhalten zu können!
München Postversuchssiedlung München-Neuhausen von Süden Muss-Angabe: Von O DM – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7595683
* 23. Januar 1897 in Wien-Margareten, Österreich-Ungarn † 18. Januar 2000 in Wien
Wiener Architektin, Entwicklerin der „Frankfurter Küche“
Ebenfalls aus sozialistisch-kommunistischer Haltung heraus entstand zur selben Zeit der Gartenstadtbewegung der entgegengesetzte Entwurf zur „Kommunenküche“ die FRANKFURTER KÜCHE. 1926-1928 für eine neue Arbeitersiedlung entwickelt – 1,87×3,44m klein: Vorläufer der heutigen „Einbauküche“.
Ziel war nicht nur die Arbeitsentlastung für die berufstätige Frau, sondern auch die Verbesserung der Hygiene: mottenabweisende Hölzer, putzarm durch Schränke bis zur Decke …
Entwickelt hat die Küche die Wiener Architektin MARGARETE SCHÜTTE-LIHOTZKY (1897 – 2000). Dadurch wurde sie weltweit bekannt, oft ungerechtfertigt darauf reduziert.
Sie war eine der ersten Frauen, die in Österreich Architektur studierten – und anschließend auch berufstätig wurden. Ihre Lebensaufgabe wurde der soziale Wohnungsbau. Sie arbeitete, baute, lehrte u.a. in Ö., Dtschl., der UdSSR, Türkei, Bulgarien, Kuba. Manche Stationen wurden durch politische Verfolgung nötig.
Bereits mit ihren ersten Arbeiten befasste sie sich mit der Ausarbeitung von Siedlungshaustypen und deren Einrichtung. 1916/17 (im 3. Semester) gewann sie an ihrer Schule einen Wettbewerb zum Thema „Eine Wohnküche in der äußeren Vorstadt“. Sie entwarf dafür eine 2-geschossige Arbeiterwohnungsanlage um einen quadratischen Hof, die Wohnungen mit je eigenem Wasseranschluss. Um 1920 entwarf sie Kochnischen u. Spülküchen.
Ihr Gesamtwerk umfasst Wohn-, Geschäfts-, Industriebauten, Denkmäler und mehr. Daneben waren Kinderheime und Schulen (speziell in der UdSSR), Kindergärten u. Kindermöbel ihr Arbeitsschwerpunkt.
1927 heiratete sie ihren deutschen Architektenkollegen Wilhelm Schütte.
Beide wurden 1930 (zusammen mit anderen Architekten) nach Moskau zur Planung neuer Wohnstädte berufen.
Dez. 1940 fuhr sie von Istanbul nach Wien. Dort beteiligte sie sich am österr. Widerstand gg. den Nationalsozialismus.
Kurz vor ihrer Rückreise wurde sie verhaftet. Erst bei Kriegsende 1945 endete ihre Gefangenschaft.
Sie blieb Kommunistin, Frauen-, Friedensaktivistin und erlebte deshalb weitere Diskriminierung.
In Ö. und Dtschl. wurden sie und ihre Arbeit erst ab ihrem 80. L.j. anerkannt und geehrt. Ihre letzte Wohnung in Wien (unter Denkmalschutz) betreibt heute der MLS-Club als MLS Zentrum.
Die Industrialisierung – das Kernproblem des Bauens in unserer Zeit, Gerhard Kosel (pdf)
Quellen:
Die erste Frankfurter Architektin auf dem Hochbauamt M. Schütte-Lihotzky, 1927, Zeichnung von Lino Salini Von Lino Salini – http://derarchitektbda.de/endlich/, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=125189109
Die Frankfurter Küche von 1926. Rekonstruktion mit Lihotzky, 1990 Von Christos Vittoratos – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4201238
Werkbundsiedlung Wien 1932, Woinovichgasse 2 und 4 Von Thomas Ledl – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17767731
Typisiertes Schrebergartenhaus in Frankfurt, 1925–1930 (Zustand 2014) Von Christos Vittoratos – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=34240324
M. Schütte-Lihotzky bei der Eröffnung des Margarete-Schütte-Lihotzky-Platzes in Radstadt (1997) Von Michael Habersatter – Michael Habersatter, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62835824
Margarete Schütte-Lihotzky, 1997 Von Werner Faymann – Werner Faymann und Brauner 1997, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=46576116
Sie war nach ihrer Ausbildung zur Medizinerin (Ghana und UK) und mehrerer „fellowships“ der UNESCO u.a. ghanaische Gesundheitsministerin (1996 bis 1997/98), ghanaische Botschafterin in den Niederlanden (1998 bis 2000), Vize-Direktorin von „Ipas“ (2001-2014).
Trotz all ihrer internationalen Tätigkeiten und Engagements findet sich im Netz nichts Persönliches über sie. Erstaunlich!
Zu Beginn ihrer beruflichen Tätigkeit war sie „Allrounderin“ und arbeitete im Bereich Allgemeinmedizin, Pädiatrie, Chirurgie, Geburtshilfe und Gynäkologie. Daneben arbeitete sie wissenschaftlich und engagierte sich in verschiedenen Organisationen.
Zu ihrer Lebensaufgabe findet sie als sie einer 14-jährigen Patientin einen Abtreibungswunsch verweigert. Die Patientin stirbt an einem unsachgemäßen Abtreibungsversuch.
Fortan engagiert sie sich für „sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ (“Sexual and reproductive health“/SRH)” der Frauen Afrikas … für das Menschenrecht auf physische und psychische Gesundheit, speziell – selbstbestimmtes Sexualleben -Aufklärung und Beratung über Verhütungsmittel – bezahlbare Verhütungsmittel – medizinisch sichere Abtreibung – sachgerechte Begleitung bei Schwangerschaft und Geburt, … – nicht nur in Städten, sondern auch auf dem Land, auf dem es meist keine Ärzte gibt.
2006 und 2016 bekommt sie, vor allem wegen ihres Engagements für sichere Abtreibung, konkrete Morddrohungen. Sie brauchte einen durchgängigen-Personenschutz.
Sie bewirkt Erstaunliches: – das „Maputo Protocol“ der ‚African Union‘; dadurch Gesetzesänderungen in vielen afrikanischen Staaten – eine Kehrtwende im Denken und den Empfehlungen der „The International Confederation of Midwives/ICM (intern. Hebammenverband) – Hebammen in vielen afrikanischen Staaten werden heute so qualifiziert ausgebildet, dass sie in arztlosen Gegenden die ärztlichen Aufgaben übernehmen können …
FOLGE: Seit 2000 sank in der Region „Subsahara-Afrika/Afrika südlich der Sahara“ die Zahl der Todesfälle der Frauen in Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen um 40 %!
weiterführende links:
Eunice Brookman-Amissah, Ankündigung von Right Livelihood Award (DE) (EN)
Ipas – Africa Alliance for Women’s Reproductive Health and Rights (link)